Wozu eigentlich Betriebliches Gesundheitsmanagement?

Interview

Der Begriff "Betriebliches Gesundheitsmanagement", kurz BGM, klingt erst einmal sperrig.
Mareike Diercks und novaworx-Expertin Anja Hubrich klären, was dahinter steckt
und welche Vorteile ein gutes BGM für Beschäftigte und Unternehmen haben kann.

BGM-Fachfrau und
Diplom-Psychologin Anja Hubrich


Das Gespräch führte Mareike Diercks,
Psychologie-Studentin an der TU Dresden
und Praktikantin bei novaworx.

Mareike Diercks: Anja, du bist Arbeits- und Organisationspsychologin und hast dich auf das Betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM) spezialisiert. Wie bist du denn zu diesem Thema gekommen, wie ist dein Interesse daran entstanden?

Anja Hubrich: Katharina und Uwe und ich, wir arbeiten als Arbeits- und Organisationspsychologen schon in diesem Feld. Das betrifft also all die Themen, die wir anbieten: Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen, Beschäftigtenbefragungen, Ergonomie oder auch Workshops, die wir mit Beschäftigten durchführen. Dazu zählen auch die Inhalte von Befragungen zu Arbeitsbedingungen, Work-Life-Balance oder Arbeitszufriedenheit. Dadurch war der Schritt kein großer. Vor einigen Jahren habe ich eine Schulung bei der IHK gemacht, um das Thema voll und ganz zu erfassen. Letztendlich, das habe ich auch in der Schulung gemerkt, ist alles was wir schon tun, zum Großteil BGM.

 

 

MD: Um spezifisch auf eure Unternehmenswebsite zu sprechen zu kommen,
ihr habt dort als Ziel für das BGM die gesundheitsförderliche und menschengerechte Gestaltung der Arbeit beschrieben. Was bedeutet das praktisch?

AH: Der Arbeitgeber soll, und dafür ist auch der Arbeitsschutz da, einen sicheren Arbeitsplatz bieten. Also die Menschen, die dort arbeiten, müssen sicher sein. Das bedeutet zum Beispiel, dass es Unterweisungen gibt zu bestimmten Gefahrenstoffen oder Maschinen, dass man eine persönliche Schutzausrüstung hat, solche Sachen. Dass also erstmal gesichert ist, dass man sich nicht verletzt oder irgendwie seine Gesundheit gefährdet.
Geht man dann einen Schritt weiter, sollen die Menschen auch gesund bleiben, vielleicht noch gesünder werden und sie sollen sich entfalten können. Menschengerecht heißt, dass man sich die Arbeitsbedingungen und den Menschen anschaut. Was hat er für einen Bio-Rhythmus, Ansprüche und Bedürfnisse? Darauf sollte die Arbeit abgestimmt sein. Ein Beispiel wäre die Pausenkultur, da spielt auch das Menschengerechte eine Rolle. Es gibt viele Untersuchungen dazu, wann Pausen sinnvoll und was für Pauseninhalte förderlich sind. Wenn man stark körperlich arbeitet wäre es förderlich, sich in der Pause eher auszuruhen und zu entspannen, sich vielleicht mit den Kollegen zu unterhalten. Das sind also Dinge, die müssen auf den Menschen abgestimmt sein. Dann funktioniert das auch, dann bleiben Beschäftigte gesund, werden sich in ihrer Arbeit wohl fühlen, Leistung bringen, motiviert sein und sich kreativ einbringen. Das meint gesundheitsförderlich und menschengerecht.

Gesunde Pausen können ein wirkungsvoller Bestandteil eines BGM sein.

 

 
 
 
MD: Du hast jetzt schon das Thema „gesund bleiben, gesund werden“ angesprochen, in diesem Zusammenhang ist natürlich auch das Thema Krankenstand und Gesundheitsmanagement wichtig. Was hast du für Erfahrungen gemacht, gibt es in Unternehmen oft schon ein gut funktionierendes BGM?
 
AH: Das ist natürlich unterschiedlich ausgeprägt. Es gibt gute Beispiele für ein erfolgreich umgesetztes BGM, aber doch eher in den größeren Unternehmen. In kleineren, da ist es dann noch zurückhaltender ausgeprägt. Aber: Viele Unternehmen, die nicht von sich behaupten würden, ein BGM zu haben, haben doch schon viel davon. Sie haben oft schon Maßnahmen, ohne dass das unter der großen Überschrift BGM läuft. Ein Beispiel wäre ein Gesundheitszirkel, wo sich darum gekümmert wird, was für die Beschäftigten gut oder schlecht ist. Es kann auch jährliche Beschäftigtenbefragungen geben, wo solche Dinge abgefragt und Maßnahmen abgeleitet werden, sodass manchmal nur die große Systematik dahinter fehlt oder hier und da ergänzt werden könnte.
 

Auch wenn es im Unternehmen nicht BGM heißt - oft ist schon viel da.

 

 

MD: Wann müsste man als Unternehmen aufhorchen und darüber nachdenken, sich mit dem Thema BGM zu beschäftigen?

AH: Prinzipiell ist es so, dass Prävention immer gut ist. Einfach vorausschauend zu sagen, wir machen was Gutes für unsere Beschäftigten und für unsere Arbeitsbedingungen. Aber natürlich gibt es auch gewisse Anlässe, die dazu besonders Grund geben: Ein hoher Krankenstand zum Beispiel. Oder man hat das Gefühl, dass die Fluktuation zu hoch ist, viele Beschäftigte kommen und gehen wieder. Auf der anderen Seite ist es so, wenn man schon viel tut, oder das Gefühl hat, dass es gut läuft, dass man trotzdem ein BGM implementieren kann, um die Situation zu stabilisieren. Man wird dadurch auch resilienter gegenüber Schwankungen in der Wirtschaft oder sonstigen Krisen, die vielleicht in der Zukunft auf einen zukommen. Was auch aktuell ein wichtiger Punkt ist, ist natürlich der Fachkräftemangel. Den haben viele Unternehmen zu verzeichnen und da wird man natürlich mit einem guten BGM als Arbeitgeber attraktiver.

MD: Zusammengefasst hat man also vom BGM neben dem allgemeinen Vorteil, dass vielleicht der Krankenstand sinkt, auch eine höhere Beschäftigtenbindung und Beschäftigtenzufriedenheit. Gibt es sonst noch Vorteile, die dir einfallen?

AH: Das ist alles ganz eng miteinander verbunden. Wenn die Beschäftigten gesund sind, dann sind sie auch leistungsfähiger und motivierter. Das ist dann damit verbunden, dass sie kreativer sind, sich mehr einbringen, sich mehr mit dem Unternehmen identifizieren und dann bleiben sie dem Unternehmen erhalten. Dann bleiben die Erfahrungen, die sie besitzen, auch im Unternehmen. Das kann zum Wettbewerbsvorteil werden. Natürlich senkt das auch den Krankenstand, die Arbeitsunfälle, das kostet ja das Unternehmen Geld, das ist auch nicht von der Hand zu weisen.

MD: Das sind viele Vorteile. Wenn Unternehmen diese Vorteile genießen wollen, muss man natürlich gezielt darauf hinarbeiten. Was sind Bestandteile, von denen du sagst, das gehört unbedingt zu einem gelungenen BGM dazu?

AH: Das ist sogar recht klar definiert, es gibt drei Säulen. BGM hat den für den Arbeitgeber verpflichtenden Teil, also Arbeitsschutz, genauso wie das betriebliche Eingliederungsmanagement. Da gehört dazu, dass man den Beschäftigten, die in den vergangenen 12 Monaten 6 Wochen krank waren, ein Gespräch anbietet: Hat das „krank sein“ vielleicht etwas mit der Arbeit zu tun und was kann getan werden, damit diejenigen wieder gut in ihrem Beruf arbeiten können?
Dann gibt es noch die dritte Säule, die betriebliche Gesundheitsförderung. Das sind Maßnahmen, die man oft schon kennt: Gesundheitstage oder gesunde Ernährung als Beispiel. Diese drei Säulen gibt es und das sind die Bestandteile des BGM. Zusätzlich dazu kommen die dazugehörenden Strukturen und Prozesse, die dann vielleicht bei dem ein oder anderen Unternehmen noch nicht vorhanden sind und aufgebaut werden müssen.

Wichtig ist zu Beginn der Implementierung, dass man ein Ziel hat, eine Vision sozusagen, was man erreichen will. Man muss sich klar machen, welche Ressourcen man hat und was man investieren kann. Kann man einen Arbeitskreis dafür erstellen oder braucht man externe Hilfe? Meistens macht es die Mischung, also dass man Personen im Unternehmen hat, die das machen und gezielte externe Unterstützung. Man sollte zu Beginn eine Ist-Analyse durchführen und schauen: Was ist schon da? Was wird gebraucht? Auf welche spezifischen Belastungen sollten wir reagieren? Daran kann man sich ausrichten und konkrete Maßnahmen ableiten und umsetzen.

Strategisch und am konkreten Bedarf ausgerichtet - so wirkt BGM am besten.

 

MD: Okay, du hast jetzt schon die Implementierung angesprochen.
Wenn ein Unternehmen beschließt, dass es ein BGM einführen möchte, wie kann da novaworx unterstützen?

AH: Das kann ganz unterschiedlich gestaltet sein. Wir können natürlich gleich von Anfang an in der Planung oder Zielfindung unterstützen. Wir schauen, was das Unternehmen möchte und können strategisch unterstützen: Was machen wir als nächstes, was braucht man noch? Das geht auf jeden Fall. Das typischere Bild ist jedoch, dass man eher in einzelnen Phasen hinzugerufen wird. Wie ich schon am Anfang gesagt habe, machen wir z. B. auch Beschäftigtenbefragungen. Das heißt, in der Analysephase kommen wir hinzu und besprechen mit dem Unternehmen, welche Aspekte sinnvoll wären abzufragen, was gut wäre zu erheben. Wir führen die Befragung durch, werten sie aus und melden die Ergebnisse zurück. Wir können an der Stelle auch fortsetzen und z. B. in die Workshoparbeit mit den Beschäftigten gehen, um dann die entsprechenden Maßnahmen abzuleiten. Wir können den gesamten Prozess begleiten, auch die Maßnahmenumsetzung, die Wirksamkeit prüfen und evaluieren. Das muss man mit dem Unternehmen abstimmen und schauen, wie der Bedarf ist.

Manchmal hilft externe Unterstützung - dann sind wir gerne für unsere Kundinnen und Kunden da.

 

 

MD: Jetzt haben wir viel über den Prozess gesprochen. Mit welchem zeitlichen Horizont müsste denn ein Unternehmen vom Punkt „wir möchten ein BGM einführen“ bis hin zu „wir haben es eingeführt“ rechnen?

AH: Wenn man ein BGM startet, dann ist das ein Prozess, auf den man sich einlässt. Das ist nichts, das man einmal durchführt und dann kann man einen Haken dran machen. Das heißt, es wird immer weiter fortlaufen, das muss man sich bewusst machen. Je nachdem, was in einem Unternehmen schon da ist, ist die Dauer unterschiedlich. Ich würde jetzt schätzen, auch in Abhängigkeit von der Größe des Unternehmens, dass es so 1-2 Jahre dauert, bis man die Strukturen hat, bis man sagt, man hat ein BGM. Man sollte da aber nicht erschrecken, es sind auch schon Ergebnisse unterwegs sichtbar, die man kommunizieren und feiern kann.

MD: Wie wäre es denn aus Beschäftigtenperspektive, wenn einzelne Beschäftigte oder Gruppen den Prozess anstoßen möchten. Was können die Beschäftigten tun?

AH: Das ist eine interessante Frage. Hoffentlich gibt es Unternehmensstrukturen, die offen sind, das ist, denke ich, schon wichtig. Es gibt die Möglichkeit, dass man als Beschäftigter Vorschläge einreichen kann, also ein Vorschlagswesen. Vielleicht kennt man auch die Ansprechpersonen, die mit dem Thema im Unternehmen betraut sind, zum Beispiel Betriebsärzte, Gesundheitsbeauftragte oder die Fachkraft für Arbeitssicherheit. Vielleicht findet man unter den Kolleginnen und Kollegen weitere Interessierte, die man mit dazu holen und vorschlagen kann, dass man sich darum kümmert. Wenn man keine Ansatzpunkte im Unternehmen hat, ist es natürlich schwierig. Aber es ist auch wichtig, dass von der obersten Führung, über die mittleren Strukturen bis nach unten alle mitmachen, das wird sonst schwer. Sowohl von oben überstülpen als auch von unten es erzwingen wollen ist sicher immer schwierig.

MD: Wenn sich jetzt Unternehmen überlegen, dass sie loslegen wollen, an wen können sie sich wenden?

AH: Da gibt es vielfältige Möglichkeiten. Es gibt die Krankenkassen, die bei Analysen unterstützen können und auch verschiedene Handlungshilfen anbieten. Sie fördern auch einzelne Maßnahmen aus der Säule der Gesundheitsförderung für die Beschäftigen, da hat man auch steuerliche Vorteile. Dann gibt es Stellen wie z. B. die Unfallversicherungsträger, die verschiedene Handlungshilfen anbieten. Also die Berufsgenossenschaften oder Unfallkassen, wo man sich Unterstützung holen kann, die auch verschiedene Kurse und Seminare anbieten. Es ist auch sicherlich immer sinnvoll, sich in Netzwerken umzuschauen. Gute Handlungshilfen gibt es auch bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin oder auch bei der Initiative Neue Qualität der Arbeit, bei INQA. Nicht zuletzt ist es auch so, dass man sich zu einzelnen Themen externe Beratung holen kann. Meistens ist es eine gute Mischung, wenn man jemanden im Unternehmen hat, der sich kümmert, aber für einzelne Themen externe Beratung, externes Expertenwissen sozusagen hat. Da kann man uns natürlich auch gerne jederzeit ansprechen oder sich auf unserer Seite informieren.


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